Kultur ist. 2019

Das Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte mich einige Male zur Teilnahme an der Diskussionen zur Ausarbeitung der neuen KulturFörderrichtlinien eingeladen. Dieser Text ist meine Grundlagenausarbeitung, mein Beitrag zu dieser Diskussion. Entsprechend habe ich diesen Text an das Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommerns und an den Künstlerbund MV gesandt. Das Kultusministerium hat diesen Text veröffentlicht.  

https://www.kultur-mv.de/kultur-politik/leitlinien.html

Kultur ist. 2019                                                                                                                                                    Der Zweck der Kunst ist nicht zu dekorieren. Die Kunst ist ein Instrument, ein Mittel des Ausdrucks im Kampf um eine bessere Welt. Alle autoritären Regime, alle antidemokratischen Kräfte, alle Feinde der Menschen und der Menschlichkeit haben gute Gründe sich vor Menschen zu fürchten die mit künstlerischen und kreativen Mitteln ausgestattet sind. 

Genau deswegen greifen Autokraten und Diktatoren nach der Macht über die Kultur und ver-suchen die Kulturschaffenden und kulturellen Bewegungen einzuschränken, zu verhindern, zu vernichten oder zu instrumentalisieren.

Das heisst auch: die Kultur ist eine der tragenden Säulen einer funktionierenden Demokratie. Funktioniert die Kultur – lebt die Demokratie.

Eine demokratische Kultur ist frei, unabhängig, vielfältig und verschieden. Frei im Geist und unabhängig im praktischen Leben, frei von Zwängen und wirtschaftlichem Druck. Eine funktionierende Demokratie ist auf künstlerisches Engagement, künstlerische Eingriffe angewiesen. Auf der Strasse, in der Nachbarschaft, in den Schulen, in den Gemeinden und in den Institutionen.

Kulturschaffende und Demokraten leben in einer Beziehung auf Gegenseitigkeit, sie ergänzen sich, befinden sich in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Kulturschaffende und Demokraten wissen: geht es dem Einen schlecht, dann gerät der Andere ins wanken.

Ich weiß das, ich habe solche Entwicklungen und auch antidemokratische Fehlentwicklungen in verschiedenen Ländern Europa’s gesehen, beobachtet und erfahren.

Ich habe erlebt wie die Feinde der Demokratie, als Discjockeys zu Erntedankfesten in Mecklenburg-Vorpommern über die Dörfer ziehen und bereits nachmttags, bei Kaffee und Kuchen ihre rassistischen Hetzreden verbreiten und Brandstiften.

In den bisher ausgearbeiteten Vorschlägen und Gedankensammlungen auf der Grundlage der bisherigen Arbeitstreffen zu den Leitlinien bzw. Kultur Förderrichtlinien, stehen viele gute Ideen und Gedankenansätze. 

Ich schreibe als freischaffender Künstler für die Bildende Kunst und unterscheide in 4 Kapitel:

I. das Ministerium  Vieles steht in den o.a. Leitlinien, bisher eine großartige Themensammlung – allerdings, noch nichts bis, aus meiner Sicht, zu wenig konkretes. Möglicherweise ist es dazu noch zu früh. Als „hilfreich“ zur weiteren Diskussion erachte ich eine Zielsetzung. Wo soll diese Reise kultureller Entwicklung hingehen? Was, Welche Ziele sollen erreicht werden? Wie soll Mecklenburg-Vorpommerns Kulturpolitik aussehen? Welcher Weg soll Wie gestaltet werden.

– Es wird viel darüber diskutiert was die “Kunst” von der Politik erwartet. Ich frage: Welche Vorstellung oder Wünsche hat eigentlich die Politik an die Kunst, die KünstlerInnen? Welche Ansprüche stellt die Politik an die Kultur? Was erwartet, was wünscht sich die Politik von der Kunst? Nicht in dem Sinne eine Themen- oder Stilvorschreibung sondern, in demokratisch humanistischer, auch in landespolitischer Sicht.

Gibt es gemeinsame Ziele? Welche? Wie kann dieser Themenkreis beschrieben, erweitert, genutzt werden und wie lässt sich durch gemeinsames Handeln, MV als Kulturland innovativ, kreativ in Szene setzen?

Solche Gedanken sollten diskutiert und offen formuliert werden, gerade hinsichtlich der Entwicklung und dem wachsenden und agressiven Auftreten demokratiefeindlicher Parteien, nationalsozialistischer Gruppen, Vereine, radikaler Zusammenschlüsse und Strukturen. Wie begegnet „Kulturpolitik“, PolitikerInnen und KünstlerInnen diesen Entwicklungen?

Wo können wir ganz konkret zusammenarbeiten, Demokratie fördern und entwickeln. Welche gemeinsamen Projekte können realisiert werden? Ist die Politik offen für solche Entwicklungen? Oder nur dann, wenn die Politik federführend ist, oder Vorgaben macht?

Wie kann die Förderung solcher DemokratieProjekte aussehen? Welche Grundlagen haben die Auswahlgremien, die JurorInnen. Welche Gruppe bestimmt welcher KünstlerIn was tun darf oder welches Projekt realisiert werden kann? Wann? In welcher Zeit?

Wir leben in einer ungeheuer dynamischen Zeit. Das gilt auch für die Kulturpolitik. Manche künstlerische Entwicklungen, Stellungnahmen oder Positionsbeschreibungen, Projekte sollten, müssen zunehmend in der „Jetzt Zeit“ realisiert werden. Genau in dem Moment in dem es wichtig ist zu agieren.

Welche Voraussetzungen können solches Handeln gewährleisten? Gibt es AnsprechpartnerInnen? Wie sieht eine dynamische, flexible Förderkultur aus? Wie kann sie konkret, verwaltungstechnisch aktiv gestaltet werden?

II. die KünstlerInnen Die Bildende Kunst müsste in ihrem Wesen der Föderung den Theatern angeglichen werden. Die Bildenden Künstler sollten ein regelmässiges Einkommen erhalten um den ständig sich steigernden Ansprüchen und Erfordernissen gerecht werden zu können und den kreativen Arbeits-prozess, inclusive gesellschafts-kulturpolitische Beiträge aufrechthalten, leisten zu können.

– Eine Art Grundeinkommen – durchaus im zu leistenden Gegenwert in Form von „Kunstwerken“, die in öffentlichen Besitz übergehen, in Krankenhäusern, Verwaltung, Schulen, öffentlichen Gebäuden aufgehängt werden. Das ist aktive, gelebte kreative Vielfalt demokratischer Kultur in gemeinsamen Zusammenspiel. – gezielte Föderung von Subkultur in selbstverwalteten „Galerie – und Kulturhaus“ ähnlichen Kulturzentren auf den Dörfern und in den Städten, für Künstler, Musiker, Poeten, Schauspieler… zugängig und bespielbar von allen kreativen Bereichen.

– Themenbezogene „Mecklenburg – Vorpommern LandesJahresausttellungen“ in Zusammenarbeit mit KünstlerInnen + Galerien + Kunsthallen + Kunsthäusern + Tourismusverband, mit der Möglichkeit Zusammenfassungen, die Quintessenz dieser regional Schau auch ausserhalb MV’s zu presentieren.

III. Der Künstlerbund ist die offzielle Vertretung der in MV arbeitenden KünstlerInnen. Der Künstlerbund presentiert sich und seine in verschiedensten Projekten: KunstHeute, Kunst Offen, Künstler für Schüler und in der grossen Jahresausstellung.

Zur Realsierung dieser verschiedensten Projekte werden Projektbudgets, Materialkosten und Projekthonorare finanziert. Zusätzlich bezahlte Aufträge technischer Art, Werbung und Organisations-massnahmen. Der Vorstand des Künstlerbundes, Ansprechpartner für das Ministerium, Koordninator für Projektinitiativen, diese 5köpfige Arbeitsgruppe, die diese gesamten Maßnahmen kreativ gestaltet, verwaltet, organisiert, für das funktionieren “gerade steht”, arbeitet ehrenamtlich.

Angesichts der gesellschafts-kulturpolitischen Verantwortung und vielschichtigsten Notwendig-keiten, auch als Beitrag zum gesamtkulturpolitischen Demokratieverständnis erachte ich es mehr als sinnvoll, das der Vorstand des Künsterbundes ein monatliches Honorar bekommt.

– einen Ort ständiger Vertretung, Ausstellungsräume, eine dem Künstlerbund zugeordnete Galerie zur unabhänigigen permanenten Presentation von themengebundenen Ausstellungen incl. einerMitarbeiterIn bzw. KunsthistorikerIn zur Begleitung der Ausstellungsprojekte.

– KünstlerbundvertreterInnen sollten Mitglieder mit Mitspracherecht in den verschiedensten Gremien sein: Kunst am Bau, Förderungs- + Ankaufsjury’s, Preisvergaben u.ä.

Zu den jeweiligen Sitzungen und Entscheidungen müssen Protokolle angefertigt und veröffentlicht werden. – Getroffene Jury Entscheidungen sollten transparent, nachlesbar und damit nachvollziehbar sein.

IV. Ausstellungen / Galerien, Museen, Kunsthäuser etc. Nach welchen Richtlinien strukturiert sich eine Zusammenarbeit / Förderung durch die Landespolitik mit den Ausstellungshäusern in MV? Welche Projekte werden gefördert? Wie wird im Sinne von Mecklenburg-Vorpommern “ambitionierte Ausstellungsarbeit” definiert?

Aus meinen Erfahrungen unterscheide ich zwischen “Einladender” und “eingeladen werdender” Kulturarbeit. Ich unterscheide zwischen “Rezeptiver und Produktiver” Ausstellungspolitik.

Rezeptiv – darunter verstehe ich, Ausstellungen und Künstlerpresentationen, der KünstlerInnen, die sich bereits auf dem Markt oder in Insiderkreisen der Szene” befinden, als von “Aussen” vorgegeben zu übernehmen – oder, im Gegensatz, “Produktiver Ausstellungsarbeit”, eigenständig Innovativ zu arbeiten, Themenkreise und KünstlerInnnen, Entwicklungen zu entdecken, zu fördern und durchzusetzen.

2 Wege die sich radikal von einander unterscheiden. Auf die Landes- Ausstellungs-Kulturpolitk bezogen stellt sich die Frage: wie möchte, soll MV’s Kunstszene wahrgenomen werden? Rezeptiv/ Re-aktiv oder Produktiv, Innovativ – Aktiv?

Entscheidend dabei: welche Wahrnehmung, welche Form der Ausstellungsarbeit wird durch welche Form von der Kulturpolitik gefördert? Eine klare “innovativ, aktive “ Orientierung sollte in der Öffentlichkeit klar definiert, dargestellt und auch diskutiert werden können. Nicht nur als Information sondern auch als moti-vierender Anreiz zur Teilnahme und Gestaltung einer innovativen, aktiven Kulturlandschaft um MV als Kulturland auf nationaler und möglichst auch auf internationaler Ebene darzustellen und durchzusetzen.

Resumee Das sind meine Gedankenbeiträge zur aktuellen Förderrichtlinien Diskussion über die natürlich diskutiert werden kann und soll. Was “richtig ist / sein kann oder auch nicht” ergibt sich aus der Betrachtung der Ziele. Konkret, wie am Anfang gefragt: Wo soll die Reise hingehen? Wo? und an welcher Stelle muss ein Zwischenstopp eingelegt-, möglicherweise umgestiegen werden?

Im Jetzt, in der Gegenwart existiert die Kultur als Randerscheinung. Kultur ist zum bürokratischen Spielball degradiert, hin und her geworfen zwischen Verwaltungsakten und persönlichen Eitelkeiten.

ein Wirtschaftsfaktor. Kultur schafft Arbeitsplätze. KünstlerInnen arbeiten innovativ. Kultur ist der Seismograph gesellschaftspolitischer und sozialpolitischer Entwicklungen, ist Feldforschung vor der eigenen Tür, auf dem Dorf, in den Strassen der Stadt, in landes, – globaler und europäischer Sicht.

Pampin, im September 2019 Herbert Hundrich