das Bundesministerium der Verteidigung
Kunst am Bau Wettbewerb:
für den Neubau Dienstgebäude
Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr
Der schmale Grat • the thin red line
Hundrich. Konzept 2014
I. Einleitung
Ein Verwaltungsgebäude lässt sich unter rein ästhetischen Gesichtspunkten künstlerisch gestalten. Dieses Konzept verbindet die Ästhetik dagegen mit Inhalten. Dies erscheint mir allein schon wegen der Bedeutung der Behörde, die es beherbergen wird, angemessen.
Auf dem Gelände der Lüttich-Kaserne in Köln wird der Sitz des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr gebaut. Diese Behörde wurde 2012 im Rahmen der Neustrukturierung der Bundeswehr gegründet, die sich aus den veränderten geopolitischen Verhältnissen ergab. Im Rahmen dieser Neustrukturierung wurden die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt und die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 (VPR 2011; siehe auch www.bmvg.de) festgelegt. Die daraus resultierenden Aufgaben der Bundeswehr sind die Grundlage der vorliegenden Konzeption zur künstlerischen Gestaltung des Neubaus.
II. Inhaltliche Grundlagen
Laut den VPR 2011 gilt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eine unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands durch konventionelle Streitkräfte als unwahrscheinlich. Im Vordergrund stehen statt dessen Risiken und Bedrohungen u.a. durch den internationalen Terrorismus, kriminelle Netzwerke, Umweltkatastrophen, Flucht und Migration, die Verknappung oder Versorgungsmängel bei natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, Seuchen und Epidemien sowie durch die mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen.
Dadurch haben sich die deutschen Sicherheitsinteressen geändert und mit ihnen die Aufgaben der Bundeswehr. Neben der Landesverteidigung im Rahmen der Nato steht heute die internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Vordergrund, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, humanitäre Hilfe im Ausland und anderes mehr. Dabei ist die Bundeswehr zunehmend international eingebunden in eine globale Kooperation im Sinne moderner Verteidigungsdiplomatie.
Die Globalisierung der Welt, ihre geopolitische Situation und die daraus resultierenden Erfordernisse sind unendlich vielschichtig. Man stelle sich allein die folgenden Fragen: Wer oder was kann im Ernstfall die Einhaltung der Menschenrechte garantieren oder durchsetzen? Kann man, darf man sie überhaupt durchsetzen? Wollen wir zusehen, dass Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie aus vorgeblichen religiösen, wirtschaftlichen, politischen und ethnischen Gründen verfolgt, misshandelt und getötet werden? Dürfen wir überhaupt zusehen oder erfordert die Einhaltung der Menschenrechte nicht auch eingreifendes Handeln? Welche politischen Konsequenzen bringt ein militärischer Einsatz mit sich, welche ein Nicht-Einsatz?
Das Für und Wider militärischer Einsätze abzuwägen, Widersprüche zu akzeptieren und sie beim Namen zu nennen, bedeutet oft, sich auf einem schmalen Grat, auf einer Thin Red Line zu bewegen.
Gleichzeitig sehe ich in dieser „roten Linie“ auch den roten Faden kontinuierlicher Friedens- und Verteidigungspolitik, auf den ich mit meinem Kunstwerk verweise.
III. Das künstlerische Konzept:
1. Die Rote Linie
Eine rote LED-Lichtlinie zieht sich durch den öffentlichen Bereich im Erdgeschoss des Gebäudes. Sie begleitet die Menschen, die dort arbeiten, Entscheidungen treffen und ausführen sowie die Besucher des Gebäudes wie z. B. Medienvertreter, Teilnehmer an Meetings oder an nationalen und internationalen Präsentationen.
Die Rote Linie verläuft lediglich im Eingangsbereich glatt, um die rote Türumrahmung aufzugreifen. Ansonsten ist sie kurvig, geschwungen, gezackt. Es handelt sich nämlich um die aufgeschnittenen Umrisse der Kontinente Europa, Afrika, Asien und Amerika. Als lineare Gebilde erscheinen sie einerseits abstrakt, sind andererseits aber aufgrund ihrer Umrisse als Begrenzungen der Kontinente erahnbar.
Die Rote Linie symbolisiert die Grenzen von unterschiedlichen geografischen, kulturellen und politischen Gebilden, die voneinander getrennt und zugleich miteinander verbunden sind: durch die Ozeane; durch wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede oder Gemeinsamkeiten und den Austausch; durch politische Zusammenarbeit und Auseinandersetzung; kurz, durch die Globalisierung, die sich auch im Auftrag und den Aufgaben der Bundeswehr niederschlägt. Darüber hinaus steht die Rote Linie für etwas, das alle Menschen verbindet: dass sie alle aufgrund ihres Menschseins mit gleichen, egalitär begründeten Rechten ausgestattet sind und dass diese Rechte universell, unveräußerlich und unteilbar sind.
Die Rote Linie verläuft folgendermaßen:
Eingang: Flur links: Europa, Mittelmeer – Küstenlinie/West
Flur rechts: Europa, Mittelmeer – Küstenlinie/Ost
Treppenaufgang/1. Stock: Nahost
Innenbereich: linker Flur: innen: Europa – Küstenlinie Nord/West
außen: Afrika – Küstenlinie West/Süd/Ost
rechter Flur: innen: Europa – Nord/Ost
außen: Asien – Süd/Ost
hinterer Flur: rechts: Amerika – Küstenlinie Ost
links: Amerika – Küstenlinie West
Die geografischen Angaben werden an den jeweiligen Wänden in den frischen Putz geschrieben bzw. gekratzt.
2. Zwei Wandgemälde
Zwei großformatige Bilder (Mischtechnik Öl, Wachfarben, wasserlösliches Spray) werden direkt auf die Wand aufgetragen.
Eingang: Treppenaufgang/1. Stock:
Das Bild zeigt einen Olivenbaum, das Symbol für Frieden, Hoffnung, Wohlstand, Liebe, Treue. Seine weiße Farbe steht für Neutralität, Reinheit, Bewusstsein. Der Baum ist entwurzelt, er liegt. Es handelt sich also um eine Problembeschreibung, um die „andere Seite“ des schmalen Grats, der Thin Red Line. Die roten Zeichen nehmen diese rote Linie auf, die außerdem als Konfliktlinie durch das Bild läuft. Bezeichnenderweise handelt es sich hier um die Küstenlinie des Nahen Ostens, dessen Konflikte in ihren zugrunde liegenden Ursachen wie in ihrer aktuellen Entwicklung globale Bezüge aufweisen.
Der Grund aus blauer Ölfarbe ist der positive Kontrapunkt. Er verweist zum einen auf den Ozean, der die Kontinente nicht nur trennt, sondern auch verbindet; zum anderen auf den Himmel, der als Einheit über allem wahrgenommen wird, der für die grundlegenden Prinzipien der Hoffnung und der Menschenwürde steht, getreu dem Motto: Über allen Wolken ist der Himmel blau.
Innenbereich/Rückwände:
Im Unterschied zum vorher beschriebenen Bild handelt dieses Wandgemälde von Lösungsorientiertheit, wobei die farblichen Symbole dieselben sind. Es zeigt eine weiße Friedenstaube, die jedoch nur als Fragment dargestellt wird, also im Entstehen begriffen ist. Dies verweist darauf, dass Frieden nicht nur geschaffen, sondern auch erhalten werden muss: Friedenspolitik und Friedenssicherung ist Work in progress. Diese Aussage wird dadurch unterstrichen, dass bei diesem Gemälde keine „Konfliktlinie“ durchs Bild läuft. Gleichwohl ist sie, gewissermaßen als Mahnung, durch rote Farbmarkierungen angedeutet.
Durch seine Zweiteilung nimmt das Gemälde die architektonischen Gegebenheiten auf, lässt den Betrachter hindurchgehen, im übertragenen Sinn also den Friedensprozess durchlaufen.
3. Die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten
Im Innenbereich sind an der Wand gegenüber dem zweiten Gemälde sechs Platten mit der Erklärung der Allgemeinen Menschenpflichten (siehe Anhang) angebracht. Sie stehen räumlich wie inhaltlich in direkter Verbindung mit der „Friedenspolitik in progress“, die im Gemälde gegenüber zum Ausdruck kommt.
1997 schlug der InterAction Council (IAC), der vom früheren japanischen Ministerpräsidenten Takeo Fukuda und von Altbundeskanzler Helmut Schmidt initiiert wurde, eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten vor, als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Der Entwurf wurde von dem Theologen Hans Küng im Rahmen seines „Projekts Weltethos“ formuliert. Grob gesagt basiert er auf der Einsicht, dass sich ohne Menschenpflichten und ein allgemein verantwortliches Handeln keine Menschenrechte verwirklichen lassen. Erstunterzeichner der Allgemeinen Menschenpflichten waren 26 ehemalige Staats- und Regierungschefs, darunter Helmut Schmidt, Valéry Giscard d’Estaing, Shimon Peres und Jimmy Carter.
Die Erklärung der Allgemeinen Menschenpflichten wird auf sechs Platten aufgedruckt, die aus poliertem Edelstahl bestehen. Auf diese Weise spiegelt sich der Betrachter in ihnen und wird so in die Pflichten, in die Verantwortung einbezogen.
4. Der Brunnen
Durch den hinteren Flur des Innenbereichs führt der Weg entlang der Küstenlinien Amerikas in den Innenhof. Dort sieht das künstlerische Konzept eine Brunnenskulptur vor. Sie besteht aus einer Schale, die in einem Wasserauffangbecken steht, das nach außen ebenerdig ausläuft. Indem sie Wasser enthält und gleichzeitig im Wasser steht, wird das Bild des Enthaltens und gleichzeitigen Enthaltenseins thematisiert.
Die Brunnenskulptur besteht aus poliertem Edelstahl und greift somit das gestalterische Merkmal der Platten mit den Allgemeinen Menschenpflichten auf. Im Gegensatz zu den Platten spiegelt sich in ihr jedoch nicht der Mensch, sondern die unmittelbare, begrenzte Umgebung des Innenhofs und ein Stück des grenzenlosen Himmels.
Auch das Wasser ist Spiegelfläche: Je stiller die Oberfläche, desto schärfer das Spiegelbild. Umgekehrt steht das fließende Wasser für Bewegung, Auflösung von Stagnation, Veränderung. Fließend können Verhandlungen und Gespräche sein, aber auch Grenzen.
Die Rote Linie ist ohne Anfang und Ende und als Linie ohne Fixpunkt. Die Brunnenskulptur ist dagegen ein Konzentrationspunkt innerhalb des Gebäudes und innerhalb der gesamten künstlerischen Gestaltung. Sie ist Mittelpunkt und ruhender Pol. Und enthält doch – durch das Wasser – die Bewegung und – durch die Spiegelung – die umgebende Welt in sich.
Hundrich, Dezember 2014
Der schmale Grat, the thin red line.
Die Bauzeichnungen:
links:
Die Menschenpflichten: http://www.weltethos.at/pdf/15.pdf
http://www.interactioncouncil.org