1. Digitaler Kunstsalon 2022 auf Schloss Plüschow
Zoomvideomeeting 24.2.2022 um 19 Uhr / Moderation: Miro Zahra
mit dem Künstler Herbert W. H. Hundrich (Pampin, Mecklenburg-Vorpommern)
Thema: Poesie der Präsenz
Herbert W. H. Hundrich ist ein Wanderer zwischen den Welten, nicht nur geografisch, sondern auch im Bezug auf seine philosophische Sicht auf die Kunst, auf das Leben und alles, was ihn berührt. In fünf Kapitel unterteilt, nimmt er uns mit auf eine wundervolle Reise, bei der er uns seine verschiedenen Sichtweisen, Medien und Ausdrucksformen näher bringt, die sich zwischen Skulptur, Malerei und Konzepten für öffentliche Räume bewegen.
„Aufbruch ist Veränderung, ist neu, ist unbekannt, ist die Neugierde zum Prinzip erheben. Wege suchen die noch niemand gegangen ist, Landschaften zu entdecken, die noch kein Fuß betreten hat, unter Wolken wandern die noch niemand gesehen hat. Bilder zu zeichnen die noch nicht gezeichnet wurden. Es ist der Augenblick, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken, der unser Leben verzaubern kann. Die Poesie im Moment, die unseren Blick auf die Welt, mit anderen Augen ersehen lässt. Wenn das unerwartete geschieht, das uns Inne-halten und in diesem einen, ganz besonderen Moment das Leben berührt. In der Bretagne, am Pont du Raz, unmittelbar am atlantischen Meer, wenn die Gezeiten wechseln, bleibt für den Bruchteil einer Sekunde das Universum stehen. Ganz genau in diesem Moment kippt der Ozean um, dann wird aus der Ebbe die Flut.“ (Herbert W. H. Hundrich, Februar 2022)
https://www.youtube.com/watch?v=yNJbPCFJoXM
Strich drunter / Kolumne Mallorca Magazin, März 2018
Wenn die Dachbalken durch die Zimmerdecken knallen, die Schlafzimmermöbel zertrümmern und der Hausbesitzer sechs Monate später immer noch keine ernsthafte Sanierung beabsichtigt, dann habe selbst ich kapiert: It’s time to say goodbye! Jetzt heißt es Abschied nehmen von meinem einst so großartigen Atelier, dem alten Fronton von Sineu.
Es ist ganz natürlich in solchen Momenten, rückwärts zu denken, obwohl meine Gedanken in die Zukunft gerichtet sein sollten. Meine Erinnerungen wandern in das Jahr 1998, kurz bevor ich den Fronton bezog. Europa begann damals gerade aufzublühen, und in Palma eröffnete die Galeria de Arte Minkner im Carrer Catalunya mit meiner Installation „1111 Rosen“, eine Hommage an Ramon Llull, und mit der dazu gehörenden Performance. Drinnen spielten die Musiker, draußen bewegte sich die chilenische Tänzerin Andrea Cruz mit einem überdimensionierten Sonnenschirm auf ihren mallorquinischen Kollegen Tomeu Gomila zu, der in einem Kokon über dem Bürgersteig hing und zur Skulptur wurde. Die Zuschauer strömten auf die Straße und brachten den Verkehr zum Erliegen. Der ganze Carrer Catalunya war dicht.
Zwei Jahre später, am Paseo del Born, die Installation „Canto del Sol“ im Auftrag von Siegel und Wangenheim, diesmal der Insel gewidmet, aber auch den Migranten und den ersten Flüchtlingen aus Afrika. Dazu Musik und Tanz, bis alles im Lärm eines Betonmischers versank und im Baustaub erstickte. Über der anschließenden Stille schwebte nur eine Frage: Warum zerstören wir eigentlich das, was wir lieben?
Zwei Jahre lang haben wir damals auf Mallorca Europa gelebt. Menschen, Kunst, Kultur und Künstler aller Sparten, Nationen und Sprachen vermischten sich und pulsierten in einem grenzenlosen Raum, gaben der Zeit eine andere Bedeutung und dem internationalen Experiment ganze Aufmerksamkeit. Palma war auf dem besten Weg, zur Kulturstadt Europas aufzusteigen, nicht weil es von bürokratischer Hand so gewollt gewesen wäre, sondern schlicht als Folge internationaler Begegnung und einer lebendigen Mischung aus europäischer, spanischer und mallorquinischer Kultur.
Dann hieß es auf einmal „Mallorca und Mallorquin first“. Regionalisten gaben sich nach außen hin als Europäer, grenzten aber nach innen hin aus und betrieben das, was sie stolz „positive Diskriminierung“ nannten. Als wären wir aus einem schönen Rausch erwacht, hatte sich das Leben in der Öffentlichkeit verändert. Ich zog mich zurück in meine Burg, mein Atelier mit den hohen Mauern, den Fronton, und widmete mich meiner Arbeit und meinen Projekten. Und baute mir ein zweites Standbein in Mecklenburg-Vorpommern auf.
War es das nun mit Mallorca? Nein! Das Leben geht weiter, und mit ihm meine Arbeit und meine Projekte, auch auf dieser Insel. Im Centro Cultural in Andratx werde ich zum Beispiel ab Mitte Juni neue Arbeiten präsentieren, wobei der Ausstellungstitel „Poesie der Präsenz“ unter den gegebenen Umständen fast ironisch anmutet.
Oder etwa doch nicht? Wovon verabschiede ich mich überhaupt, wenn ich den Fronton verlasse? Von meiner alt gewordenen und nicht durch Zufall baufälligen Burg. Ich denke dabei an die spanische Redensart, dass es nichts Schlechtes gibt, was nicht auch Gutes mit sich bringt. Auf den Winter folgt der Fühling, auf den Rückzug der Aufbruch. Jetzt heißt es, mich neu zu definieren. Und wie immer gilt: Wie im Leben, so in der Kunst.
Ich werde deshalb am Ostersonntag und Ostermontag nachmittags die Türen meines Ateliers öffnen und meine Bilder, Zeichnungen und Skulpturen mit einem Preisnachlass von bis zu 80 Prozent verkaufen. Ich muss zugeben, dass mir das nicht leicht fällt, aber wann war es schon mal einfach,die Freiheit der Kunst zu leben? Um den Geist und die Schöpferkraft in Bewegung zu halten, muss man offen für Neues sein, und dafür muss man bekanntlich Altes hinter sich lassen. Das ist wie beim Frühjahrsputz: ausmisten und Strich drunter.
Poesie der Präsenz Mallorca Magazin, 6. April 2017 / Gastkolumne
Ich bin privilegiert, ich bewege mich frei. Ich könnte auch sagen: Ich bin Europäer, also pendle ich. Meine Ateliers habe ich mir im alten Fronton in Sineu und auf einem ehemaligen Bauernhof bei Parchim eingerichtet. Das Pendeln zwischen diesen Orten macht mich reich: Mein Reichtum ist die Poesie der Präsenz.
Präsenz ist die räumliche und zeitliche Gegenwart von etwas oder von jemandem. Ihre Poesie geht jedoch über die Gegenwart hinaus. Die Poesie der Präsenz beschreibt die Magie des Moments, also die Vielfalt und Verschiedenheit unbegrenzter Möglichkeiten, die in jedem Moment enthalten sind.
Vor allem macht diese Poesie aus, dass ich immer bin, wo ich bin. Ich folge meinen eigenen Regeln und den Notwendigkeiten, die das Leben von mir verlangt. Und ich folge meiner Arbeit. Wo die Kunst es erfordert, gehe ich hin. Und bleibe so lange, wie sie es nötig ist.
Ich widerspreche denen, die dem Pendler weismachen wollen, dass er vor sich wegläuft. Ich nehme mich mit. Immer. Was mich antreibt, ist mein Begleiter, und mein Denken und Fühlen sind mein Gepäck. Indem ich pendle, stelle ich mich dem Leben auf meine Art und Weise und handle entsprechend den Ansprüchen, die ich mir erarbeitet habe.
Den Reichtum der Poesie macht dabei das Wechselspiel von Nähe und Distanz, von zwei sich ergänzenden Sichtweisen aus: Ich blicke nicht von nur innen, sondern auch von außen über den berühmten Tellerrand – um zu erkennen was auf dem Teller geschieht. In der Distanz lassen sich Ereignisse und Situationen besser betrachten, um in der Nähe dann das Richtige zu tun. Im Politischen spricht man von global denken und regional handeln.
Handeln beruht auf Rückschlüssen auf die Vergangenheit und auf Projektionen in die Zukunft. Aber Handeln findet immer im Hier und Jetzt statt, also in der Gegenwart. Und in einer Welt, die sich immer öfter ganz anders darstellt und entwickelt, als es prognostiziert wird. Die Ereignisse der Welt entsprechen selten noch unseren Erwartungen.
Der unvorhersehbaren und unüberschaubaren Welt stelle ich als Künstler den immer einfacher werdenden Pinselstrich und die immer reduziertere Skulptur entgegen. In ihnen konzentriert sich der unwiederholbare Moment, an dem das Leben stehen zu bleiben scheint, der aber nur existiert, wenn wir ihn wahrnehmen können. In dem Augenblick, in dem wir ihm unsere Aufmerksamkeit zuwenden, kann er unser Leben verzaubern.
Diese Magie des Moments erlaubt es, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Sie ermöglicht aber auch, von anderer Stelle – in einem anderen Land mit anderer Kultur – auf das Eigene zu blicken, um so das Eigene in Frage zu stellen und ihm gleichzeitig ein Stückchen näher zu rücken. Diese Art von wechselnden Sichtweisen habe ich zum Prinzip erhoben in meiner Kunst, in meinen Projekten und auch in meinem Leben.
Pampin, 2.04.2017
Hundrich – on my own behalf
My works are emerging. They arise and exist.
So begins their life. They exist … in the open and closed space, in the countryside, in the urban areas, and in the sociopolitical life.
There is no historical basis, no philosophical and no psychological urge that needs to explain their existence. Their existence is not the subject of any artistic agenda or coercion. They are neither echos of the past nor a method of coping with its problems. They do not even arise from a sociopolitical necessity.
There is only one reason: it is my language, the language which I have chosen to get in contact with this world, to communicate with people, and to confront the issues I see. It’s my way, my contribution to what is happening in this world. I see the world and see what is happening. I observe, reflect, and think about it and then find my own position. This creates a field of tension out of which my artistic endeavors develop.
Sometimes, themes are brought to me but at other times they thrust themselves upon me.
During special times, projects simply appear with a seemingly natural sense of necessity. I accept those tasks, problems, and questions in order to find new ways of addressing them. I also try to find new possibilities and new solutions using the media that are availabe to me.
This applies to art as well as to life.
Michael Stoeber, a German art critic, described it thus:
„The artist loves variety. He works faithfully to the Latin maxim : . . Variatio delectat (Variation delights). He hates one-dimensionality and repetition. He loves the constant new beginning, exalting in the experience of finding new conquests in art and life. A feeling, no one has praised as well as Hölderlin with brevity and vitality with the quote, “There have never been as many beginnings.” Herbert Hundrich wants and needs to test himself in the arts. He is what the French, in quite a praiseworthy and respectful manner, call “a touche à tout:” sombeody who needs to touch everything. Indeed, the range of artistic activities in which the studied sculptor has already proven himself is impressive and awe-inspiring. Hundrich is not only a sculptor, but also a painter, draftsman, photographer, filmmaker, choreographer, performance and installation artista, and an author of artists‘ books.”
Martin Breuninger, a German journalist living in Spain, wrote:
„Hundrich approaches even the most difficult projects. In beginning there are always sheets of paper and a pencil. Then, he includes people, spaces, and environments. At the end a new life is created for everyone involved, including participants and the audience. It may only be for one moment but that’s what counts, because such a moment remains in memory.”
hundrich, june 2014